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Pragmatik #2 Präsuppositionen und Implikaturen

  • linguistik-online
  • 20. Jan. 2019
  • 13 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 21. Feb. 2019


AUSARBEITUNGSTEXT - STUDIENLEISTUNG IN EINEM LINGUISTISCHEN SEMINAR:

VON DER ZUSTÄNDIGEN DOZENTIN DURCHGESEHEN UND MIT "SEHR GUT" (1,0) BEWERTET


In unserer täglichen Kommunikation verbalisieren wir nicht alles, was wir sagen wollen. Manches setzen wir als Wissen voraus, manches äußern wir nur indirekt, manches meinen wir nicht wörtlich. Es gibt also durchaus grundlegende Unterschiede zwischen dem, was wir sagen und dem, was wir eigentlich meinen. All das findet im Bereich der Pragmatik statt, in der das Sprachsystem mit all seinen Regularitäten angewendet wird und Äußerungen häufig weitere Aspekte mit sich bringen als die reine semantische Bedeutung. In der Wissenschaft wird ein Text oder auch eine Äußerung oft mit einem Eisberg verglichen. Von diesem ist nur ein sehr kleiner Teil seines eigentlichen Komplexes zu sehen. Dieser kleine, sich sichtbar an der Oberfläche befindende Teil ist der explizite Teil, bestehend aus der festen und konventionell festgelegten Bedeutung der sprachlichen Zeichen. Der größere Teil jedoch befindet sich unterhalb der Oberfläche – gemeint ist der implizite Teil, also alles, was für eine umfassende Deutung der Äußerung nötig ist.




PRÄSUPPOSITIONEN

Definition und Kurzbeschreibung

Das Wort „Präsupposition“ stammt vom lateinischen Verb praesupponere, was mit voraussetzen übersetzt wird. Auf dieser Grundlage lassen sich Präsuppositionen als „selbstverständliche (implizite) Voraussetzungen sprachlicher Ausdrücke [und] Äußerungen“ [1] definieren. Das bedeutet, dass Äußerungen innerhalb einer Sprachhandlung nicht nur über das an Lexembedeutungen gebundene Bedeutungswissen zu verstehen sind, sondern weitere Informationen miteinbezogen werden müssen, die jedoch nicht explizit ausgedrückt und verbalisiert werden. Diese sind die außersprachliche Voraussetzung, die in einem explizit ausgedrückten Satz mitschwingt und die als gegeben angenommen werden muss, damit der eigentliche Satz einen Sinn ergibt und verstanden wird. Die nicht verbalisierten Informationen umfassen ein umfangreiches, wenn nicht sogar das gesamte Weltwissen, das für die jeweilige Interaktion als Voraussetzung angenommen wird. Dieses Weltwissen bildet die Grundlage eines jeden Gesprächs, sodass die Kommunikation erfolgreich ablaufen kann.

Wenn beispielsweise eine Person davon spricht, dass der Inhalt des heutigen Seminars ganz schön anspruchsvoll gewesen sei, ist die entsprechende Präsupposition, dass diese Person ein Seminar besucht. Wenn eine Person darum gebeten wird, einer anderen ihren Kuli zu geben, wird automatisch vorausgesetzt, dass diese einen Kuli dabei hat. All das wird allerdings nicht versprachlicht, weil sowohl Sprecher als auch Adressat diese (offensichtlichen) Voraussetzungen als gegeben annehmen und es somit überflüssig wäre, diese nochmals explizit mitzuteilen.

Präsuppositionen sind auf verschiedenen Ebenen der Sprachbeschreibung angesiedelt. Es gibt semantische und pragmatische Präsuppositionen, wobei sich dieser Text mit ersterer auseinandersetzen wird.

Theoretiker der pragmatischen Präsuppositionen sehen das Weltwissen als allgemeine umfassende Voraussetzung, um Äußerungen zu verstehen und kommunizieren zu können. Kommunikation basiert also nicht nur auf sprachlichen Strukturen, sondern vor allem auch auf dem jeweiligen gemeinsamen Hintergrundwissen. Ihrer Ansicht nach existieren präsuppositionale Elemente und Konstruktionen, die von den Sprechern gebraucht werden und mithilfe derer sie auf diesem angenommenen Hintergrundwissen aufbauen oder dieses konstituieren.

Theoretiker der semantischen Präsuppositionen hingegen sehen deren Voraussetzung in bestimmten lexikalischen Einheiten. Dies soll nun näher erläutert werden.



Merkmale von Präsuppositionen und Präsuppositionstests

Präsuppositionen besitzen ganz bestimmte Eigenschaften, die sie als solche erkennbar machen und durch die man sie auch von anderen ähnlich erscheinenden Formen des Impliziten abgrenzen kann.

Als erstes wäre dabei die Negationskonstanz anzuführen. Das bedeutet, dass die Präsupposition einer Äußerung unter Negation konstant bleibt. Definiert wird dies folgendermaßen: „Eine Voraussetzung ist nur dann eine Präsupposition einer Aussage, wenn diese Voraussetzung auch noch nach der Negation dieser Aussage besteht.“ [2] Die Verneinung des Satzes darf die Präsupposition also nicht verändern. Außerdem sind Präsuppositionen nicht löschbar, d.h. man kann sie nicht explizit verneinen, ohne einen Widerspruch dadurch herbeizuführen. Daraus erschließt sich, dass Präsuppositionen kontextabhängig sind.


Wie bereits erwähnt sind diese Merkmale dazu geeignet, Präsuppositionen von anderen impliziten Formen abzugrenzen. Konkret gelingt das mithilfe sogenannter Präsuppositionstests.

In Entsprechung zum ersten Merkmal ist auch der erste Test der Negationstest. Durch diesen lässt sich die Präsupposition von der Implikation abgrenzen. Während erstere unter der Negation konstant bleibt, hebt sich die Implikation dadurch auf.

z.B. positiver Aussagesatz: „Ich habe wieder angefangen, eigene Texte zu schreiben.“  --> Präsupposition: Ich habe früher schon einmal Texte geschrieben. --> Implikation: Ich schreibe wieder.

negativer Aussagesatz: „Ich habe nicht wieder angefangen, eigene Texte zu schreiben.“ --> Präsupposition: Ich habe früher einmal Texte geschrieben. --> Implikation: -?- keine Schlussfolgerung

Weitere Tests sind der ‚Konstanztest‘, der besagt, dass Präsuppositionen unter illokutionärer Abwandlung konstant sind und der Konjunktionstest. Ihm zufolge können Präsuppositionen eines Satzes diesem vorangestellt werden, während Implikaturen ihm nur nachgestellt werden dürfen. Zudem existieren der Widerspruchstest, demzufolge sich ein Widerspruch ergibt, wenn man einen Satz mit seiner negierten Präsupposition verknüpft und der Fragetest, der zeigt, dass in Frage- (und Befehls-)Sätzen dieselbe Präsupposition gilt wie in den entsprechenden Aussagesätzen.


Präsuppositionstypen und ihre Auslöser

Wie zu Beginn angedeutet, wird innerhalb der semantischen Präsuppositionen die Ansicht vertreten, dass diese durch bestimmte lexikalische Einheiten, d.h. durch bestimmte Ausdrücke oder sprachliche Strukturen ausgelöst werden. Diese Ausdrücke bezeichnet man auch als „Präsuppositionstrigger“.

Hierbei unterscheidet man zwischen sechs verschiedenen Präsuppositionstypen, entstanden durch jeweils verschiedene Auslöser.

Die existenzielle Präsupposition ist mit definiten Kennzeichnungen verbunden. Diese zeigen auf, dass die Person oder die Sache, über die man spricht, auch existiert. z.B. „Das Buch liegt auf dem Schreibtisch.“ --> Das Buch existiert.

Dasselbe gilt für Possessiva, die Besitzanzeigen durch Pronomina: Das, was jemandem gehört, muss es auch geben. z.B. „Mein Hund hat gestern drei neue Kommandos gelernt.“ --> Ich habe einen Hund.

Bei den faktiven Präsuppositionen ist das entscheidende präsuppositionale Element ein Verb aus der Gruppe der faktiven Verben, also Verben, die die Faktizität/Wirklichkeit von Sachverhalten ausdrücken und diese somit implizieren. Diese ‚Tatsachenverben‘ zeigen an, dass der folgende Satzteil der Wahrheit entspricht, da das Erwähnte sicher vorliegt oder gemacht wurde. Beispiele für solche Verben sind „wissen, bemerken, bereuen, froh / traurig / überrascht etc. sein, leidtun“. z.B. „Ich bin froh, ein Germanistikstudium begonnen zu haben.“ --> Ich habe ein Germanistikstudium begonnen.

Bei den nicht-faktiven Präsuppositionen ist das entscheidende präsuppositionale Element ein Verb aus der Gruppe der nicht-faktiven Verben. Diese ‚Anti-Tatsachen-Verben‘ zeigen an, dass der folgende Satzteil nicht der Wahrheit entspricht, da das Erwähnte sicher nicht vorliegt oder gemacht wurde. Beispiele für solche Verben sind „vorgeben, träumen, sich vorstellen, sich einbilden“. z.B. „Er gibt vor, die Verabredung vergessen zu haben.“ --> Er hat die Verabredung nicht vergessen.

Die lexikalischen Präsuppositionen werden ausgelöst durch ein Verb aus der Gruppe der Verben der Zustandsveränderung. Diese Verben signalisieren, dass sich ein aktuell vorliegender Zustand ändert und beziehen sich zudem auf eine ausgeführte oder noch auszuführende Handlung. Beispiele dafür sind „anfangen, beginnen, aufhören, schaffen, überdenken“ oder auch „zurückkommen“. Oft wird, um das anzuzeigen, auch ein Verb mit einem Adverb wie z.B. „wieder“ verbunden. Hier sind sogenannte Iterativa die Auslöser der Präsupposition. z.B. „Sie hat letztes Jahr mit regelmäßigem Schwimmtraining begonnen.“ --> Sie hat davor nicht regelmäßig trainiert.

Man nennt diesen Typ lexikalisch, weil die Präsupposition mit der wörtlichen Bedeutung der betreffenden Äußerungen zusammenhängt.

Strukturelle Präsuppositionen sind an bestimmte Satzstrukturen gebunden. Bei der Struktur des Entscheidungsfragesatzes (=W-Fragesatz) fordert das Element dieses Satzes, die W-Frage, eine Präsupposition geradezu heraus. z.B. „Wer kommt heute zu Besuch?“ --> Irgendjemand kommt heute zu Besuch.

Für die Struktur des nicht-restriktiven Relativsatzes muss zunächst der verwendete Begriff erläutert werden. In restriktiven Relativsätzen wird durch deren Einfügung eine Person / ein Sachverhalt identifiziert oder präzisiert. In nicht-restriktiven Relativsätzen kommt man durch Partikel wie „übrigens“ von dieser Funktion des Identifizierens weg und hat nur noch eine Zusatzinformation. Genau diese Sätze stellen eine Präsupposition dar. Zudem könnte man auch die Spaltsätze hier hinzuzählen. Diese strukturieren sich folgendermaßen: es + Form von „sein“ + Prädikatsnomen + Relativsatz, der sich auf das Prädikatsnomen bezieht.

Auch kontrafaktische Präsuppositionen sind an eine bestimmte Satzstruktur gebunden, nämlich an den irrealen Konditionalsatz. z.B. „Wenn meine Bahn nicht ausgefallen wäre, wäre ich pünktlich gekommen.“ --> Ich bin nicht pünktlich gekommen.

Hier sagt die Proposition also das genaue Gegenteil zur Präsupposition aus. Zudem ist anzumerken, dass diese Präsupposition im Vergleich zur Nicht-Faktiven immer nicht wahr ist.


IMPLIKATUREN

Definition und Kurzbeschreibung

Das Wort „Implikatur“ stammt vom englischen Verb to implicate, was mit stillschweigend mitbehaupten übersetzt wird. „Als Implikatur wird [demnach] das bezeichnet, was Sprecher andeuten, zu verstehen geben oder zwischen den Zeilen sagen.“ [3] Somit beschreiben Implikaturen das nicht wörtlich Geäußerte, aber (Mit-)Gemeinte einer Äußerung. Ein Sprecher lässt mit der Äußerung eines Satzes also eine bestimmte Schlussfolgerung bei dem Adressaten zu, ohne dass er mit dieser explizit wörtlich gesagt hätte, dass diese Schlussfolgerung auch zutrifft. Begrifflich unterscheidet man das Diktum vom Implikatum. Diktum bedeutet „das Gesagte“ und beschreibt, dass das, was in einer sprachlichen Äußerung gesagt wurde, auch das Gemeinte ist. Beim Implikatum, „dem Angedeuteten“, liegt das Gemeinte außerhalb des Gesagten.



Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen

Als elementare Grundlage der Implikaturtheorie werden das von Herbert Paul Grice im Jahr 1975 ergründete Kooperationsprinzip und seine Konversationsmaximen angenommen.

Dem Kooperationsprinzip zufolge verhalten sich die an einer Kommunikation Beteiligten grundsätzlich kooperativ, um diese auch zu ermöglichen. Der Grund dafür ist, dass sie sich gegenseitig verstehen wollen und sich deshalb aufeinander einlassen. Dieses Prinzip beinhaltet deshalb die Aufforderung, die eigenen Gesprächsbeiträge so zu gestalten, wie es die jeweilige Konversation erfordert – sie sollen also dem Zweck dienen, den man mit seinem Gesprächspartner verfolgt.


Das Kooperationsprinzip bildet somit die Voraussetzung für die von Grice aufgestellten Konversationsmaximen. Damit sind Richtlinien gemeint, die das Gelingen von Kommunikation begünstigen. Aus diesem Grund wird von den Kommunikationspartnern erwartet, sich diesen entsprechend zu verhalten.

Die erste Maxime ist die der Quantität. Sie besagt, dass ein Beitrag so informativ wie in einer bestimmten Situation erforderlich gestaltet werden, also nicht mehr oder weniger Informationen als nötig enthalten soll. Die Maxime der Qualität bezieht sich auf den Wahrheitsgehalt einer Äußerung. Ein Beitrag soll demnach nichts beinhalten, dass der Sprecher selbst nicht für wahr hält. Der Grad der Wahrscheinlichkeit muss immer signalisiert werden und erkennbar sein. Die Maxime der Relevanz fordert den Sprecher dazu auf, nur Dinge, die zum kommunikativen Geschehen einen Zusammenhang aufweisen, für dieses also relevant sind, zu äußern. Zuletzt überprüft die Maxime der Modalität, ob die Äußerung klar und verständlich ist oder ob Mehrdeutigkeiten und Ungeordnetheiten vorliegen.


Grice ist der Ansicht, dass der Adressat einer Äußerung diese Maximen zunächst einmal für geltend hält, da er grundsätzlich davon ausgeht, dass der Sprecher nicht willentlich dagegen verstößt. Aufgrund der Annahme des Kooperationsprinzips setzen wir voraus, dass der andere nach wie vor an einer erfolgreichen Kommunikation interessiert ist. Deshalb findet bei einem scheinbaren Maximenverstoß eine „kooperationsbasierte Reinterpretation“ statt. Das bedeutet, dass der Adressat die Äußerung des Sprechers auf die Weise ‚korrigierend‘ interpretiert, damit die Anforderungen wieder erfüllt sind.


Genau hier setzt die Implikatur an. Denn ein Verstoß ist nicht das Ergebnis böser Absicht, sondern viel eher das einer bestimmten Intention – der Intention des Mitmeinens. Werden also die in den Konversationsmaximen beschriebenen (Verhaltens-) Erwartungen durch den Sprecher nicht erfüllt, kann eine Implikatur realisiert werden. Sie ist das Ergebnis der Reinterpretation.

z.B. A: „Wir müssen dringend nochmal über Ihr Fehlverhalten den Kunden gegenüber sprechen.“

B: „Ach wissen Sie, am wichtigsten ist es doch, dass wir alle gesund sind.“

Auf rein wörtlicher Ebene verstößt Person B hier gegen die Maxime der Relevanz, da sich ihre Äußerung ganz offensichtlich nicht als relevant für die aktuelle Gesprächssituation erweist. Reflektiert Person A diese wörtliche Äußerung allerdings und denkt über eine eventuelle zusätzliche Bedeutung nach, die Person B mit ihrer Aussage vermitteln wollte, kann sie zu dem Schluss kommen, dass Person B dies nur gesagt hat, weil sie von einem für sie unangenehmen Thema ablenken wollte und deshalb ein völlig anderes und aus dem Kontext gerissenes Thema aufgegriffen hat, statt die Bemerkung zu erörtern. Konnte Person A schließlich eine Verbindung zwischen der zusätzlichen Bedeutung und der eigentlichen Aussage herstellen, gilt nicht nur die Maxime der Relevanz wieder – denn somit ist die Äußerung eben doch relevant –, sondern sie konnte auch gleichzeitig die zusätzliche Bedeutung als Implikatur identifizieren.


z.B. A: „Weißt du, wie viel Grad wir draußen haben?“

B: „Es ist sehr kalt.“


Da die Antwort von Person B weder klar noch eindeutig ist, verstößt sie gegen die Maxime der Modalität. Die Implikatur ist hierbei, dass sie durch diese Aussage zum Ausdruck bringt, dass sie keine genaue Temperaturangabe machen kann, sondern kann nur feststellen, dass diese niedrig ist.

Doch nicht nur durch auf den ersten Blick die Konversationsmaximen verletzende Äußerungen können Implikaturen entstehen, sondern auch gerade durch die Befolgung von diesen:

z.B. „Die meisten Kinobesucher hatten vorreservierte Plätze“.

Will der Sprecher die Maxime der Quantität befolgen, darf er nur so viel sagen, wie für ihn vertretbar ist. Aus diesem Grund sagt er „die meisten“ und nicht „alle“. Genau darauf läuft dann die Implikatur hinaus, die besagt, dass nicht alle Kinobesucher vorreservierte Plätze hatten.


z.B. „Die Familie meines Freundes hat drei Hunde.“

Man ist wegen der Maxime der Qualität zur Annahme berechtigt, dass der Sprecher die von ihm aufgestellte Behauptung auch selbst glaubt, sie für wahr hält und begründen kann. Schließlich ist die Behauptung nicht durch sprachliche Mittel wie etwa eine Phrase mit Konjunktiv („Er meint, dass sie drei Hunde hätten“) eingeschränkt. Man geht also davon aus, dass die Aussage der Wahrheit entspricht.


Neben der Befolgung und auch der Nicht-Befolgung der Konversationsmaximen gibt es weitere Auslöser für Implikaturen, die allerdings je nach Implikaturtyp verschieden sind.


Implikaturtypen

Um einen besseren Überblick über die im Folgenden erläuterten Typen und Untertypen zu bekommen, soll hier ein vereinfachtes Schaubild angeführt werden.

Konventionelle vs. konversationelle Implikaturen

Die erste Differenzierung erfolgt zwischen den konventionellen und den konversationellen Implikaturen.

Lässt sich die Schlussfolgerung allein durch die konventionell festgelegte Bedeutung der verwendeten Ausdrücke und grammatischen Konstruktionen erschließen, spricht man von einer konventionellen Implikatur. Hierbei interpretiert der Adressat einer Äußerung diese auf Basis von einer ihm bekannten Konvention. – Man muss allerdings klarstellen, dass diese Implikatur nicht mit dem Gesagten gleichzusetzen ist, sondern sich in dem ‚unsichtbaren Teil‘ dieses Gesagten positioniert.

Konventionelle Implikaturen finden sich insbesondere im Bereich linguistischer Phänomene wie z.B. bei Satzverknüpfungen, (Satz-)Adverbien und Partikeln. Diese tragen zur eigentlichen Bedeutung des Satzes nichts bei, sind für den kommunikativen Sinn seiner Äußerung allerdings entscheidend.


z.B. „Er ist Chinese; er ist daher laktoseintolerant.“ Äußerung: Er ist Chinese; er ist laktoseintolerant. Implikatur: Seine Laktoseintoleranz ist eine Konsequenz seines Chinesenseins. --> Er ist laktoseintolerant, weil er Chinese ist.

Hier stellt sich die Äußerung nur dann als falsch heraus, wenn entweder der erste, der zweite oder beide Satzteile inhaltlich falsch sind. Das Adverb „daher“ gehört nicht zum Gesagten, sondern zum Implikatierten, deshalb beeinflusst es den Wahrheitsgehalt dieser Aussage auch nicht.

Zu ihren Merkmalen gehört, dass sie zum einen nicht löschbar sind, man sie also nicht ohne Selbstwiderspruch bestreiten kann, zum anderen sind sie aber ablösbar, was bedeutet, dass eine Paraphrase des entsprechenden Satzes das Gleiche besagt.

Geht es einer Implikatur nicht mehr nur um die konventionelle Bedeutung ihres Ausdrucks, spricht man von der konversationellen Implikatur. Um eine solche erkennen zu können, muss der Adressat zuerst die wörtliche Bedeutung der verwendeten Ausdrücke entschlüsseln und das Kooperationsprinzip, die Maximen und weitere Kontextmerkmale mitbedenken, bevor er schließlich den intendierten Sinn der Äußerung erschließen und rekonstruieren kann. Der Rekonstruktionsaufwand ist hier also erheblich höher als bei der konventionellen Implikatur.

Deren Merkmale entsprechen genau dem Gegenteil der konventionellen Implikatur, indem sie zwar löschbar, aber nicht ablösbar sind. Diese und weitere lassen sich mithilfe von Implikaturentests bestimmen. Sie helfen zudem dabei herausfinden, ob eine zusätzliche Bedeutung einer Äußerung tatsächlich eine konversationelle Implikatur ist oder nicht: Das ist sie dann, wenn sie rekonstruierbar, variabel (da kontextabhängig) und streichbar ist.


Konversationelle Implikaturen sind rekonstruierbar. Das bedeutet, dass es die oben erwähnten Faktoren ermöglichen, eine vorliegende Implikatur zu ermitteln. Das funktioniert mithilfe des sogenannten „Schlussprozesses“ – es wird also durch diese Faktoren eine Schlussfolgerung ermöglicht.

Außerdem sind sie kontextabhängig. Aus diesem Grund können verschiedene Kontexte eine exakt gleiche Äußerung mit völlig verschiedenen Implikaturen versehen.

Als letztes Merkmal ist das der Streichbarkeit anzuführen, konversationelle Implikaturen sind also streich- bzw. löschbar. Fügt man einer Äußerung, die eigentlich eine bestimmte Implikatur hatte, einen sprachlichen Zusatz hinzu, kann die ursprüngliche Implikatur auch gelöscht werden. Diese wird nach der ‚Zusatzinformation‘ zurückgenommen, ohne dass es dadurch zu einem Widerspruch kommt.

Generalisierte vs. partikularisierte konversationelle Implikaturen

Konversationelle Implikaturen können abermals in zwei Typen unterteilt werden – in generalisierte und partikularisierte konversationelle Implikaturen.

Generalisierte Implikaturen (=allgemeine Implikaturen) erscheinen in allen Äußerungskontexten. Ausgelöst werden sie durch einen bestimmten sprachlichen Ausdruck, nämlich durch die Verwendung des unbestimmten Artikels.


z.B. „Mira geht heute mit einem Mann ins Kino.“ --> Es ist nicht ihr Mann.


Hier liegt ein Verstoß gegen die Quantitätsmaxime vor, da man nicht konkret erfährt, um welchen Mann es geht. Das liegt daran, dass der Sprecher diesen wohl nicht zu kennen scheint, da er sonst konkreter hätte sagen können, um wen es sich bei dem Mann handelt. Auch ist anzumerken, dass der Kontext – wenn auch nur in reduzierter Form – dennoch eine Rolle spielt, denn nicht jede Verwendung eines unbestimmten Artikels führt auch zu einer Implikatur. Dass hier aber eine Implikatur vorliegt, kann man beispielsweise mit dem Streichbarkeitstest nachweisen: „Mira geht heute mit einem Mann ins Kino, ich glaube, sie geht mit ihrem Mann.“


Dementgegen neigt man jedoch (fälschlicherweise) häufig dazu, die generalisierte konversationelle Implikatur mit der konventionellen Implikatur gleichzusetzen, eben weil die Rolle des Kontextes kaum spürbar ist.

Partikularisierte Implikaturen (=kontextbezogene Implikaturen) dagegen erscheinen nur in bestimmten Äußerungskontexten. Außerhalb dieses jeweiligen Kontextes gibt es keine Regularitäten, wie z.B. die Verwendung sprachlicher Mittel, die eine Implikaturerzeugung regeln könnten. Die Implikatur kann also ausschließlich durch den Kontext ausgelöst werden, den sowohl Produzent als auch Rezipient dieser Äußerung kennen müssen.


z.B. Kontext: Es regnet in Strömen. Äußerung: „Mal wieder wunderschönes Wetter heute.“ Implikatur: Es wurde Ironie verwendet – das Gegenteil des Gesagten ist gemeint (furchtbares Wetter).


Beide Typen können gleichermaßen modifizierend oder konservierend sein.



Bei modifizierenden Implikaturen liegt ein erkennbarer Maximenverstoß vor. Aus diesem Grund muss der Adressat die ursprüngliche Äußerung verändern bzw. korrigieren, um sie in einen maximenkonformen Beitrag umzuwandeln. Dadurch kann der Kontext beibehalten werden.


z.B. ursprüngliche Äußerung: „Wir müssen mal wieder tausende Seiten Text für das Seminar vorbereiten.“ Implikatur: „Wir müssen mal wieder sehr viele Seiten Text für das Seminar vorbereiten.“


Bei konservierenden Implikaturen liegt kein oder nur ein schwacher Maximenverstoß vor – aus dem Grund, dass der Adressat von einem ganz speziellen Kontext ausgeht, der die Äußerung als maximenkonform erscheinen lässt. Dadurch, dass er also den Kontext verändert / angepasst hat, kann die ursprüngliche Äußerung beibehalten werden.


z.B. A: „Weißt du, wer im Zwischentest alle Fragen richtig beantwortet hat?“ B: „Anna wirkte vorhin sehr glücklich.“ Implikatur: „Wer solch eine gute Leistung erzielt, ist üblicherweise sehr glücklich darüber. Deshalb könnte es Anna gewesen sein, die alle Fragen richtig beantwortet hat.“


Die Äußerung wird hier als ein nicht vollständig verbalisierter Schlussprozess verstanden, weshalb die dadurch entstandene Lücke durch eine kontextuale Ergänzung von Person A geschlossen werden muss.


Gemein ist den beiden, dass die jeweilige Interpretation der Äußerung die Kooperation wahren soll, damit diese weiterhin möglich ist.

ICH HOFFE, DASS EUCH DER TEXT GEFALLEN HAT UND ICH EUCH DIESEN THEMENBEREICH AUS DER PRAGMATIK EIN WENIG NÄHERBRINGEN KONNTE. FÜR FRAGEN UND VERBESSERUNGSVORSCHLÄGE BIN ICH NATÜRLICH JEDERZEIT OFFEN :)

[Der Text wurde lückenlos und ohne weitere Bearbeitung aus meiner Studienleistung (November 2018 / 3. Semester, Germanistik B.A.) übernommen.]


Zitate

[1] Präsupposition. In: Lexikon der Sprachwissenschaft, hg. von Hadumod Bußmann, Stuttgart 2008, S. 545.

[2] Horst Schwinn: Präsuppositionstest. In: Metzler Lexikon Sprache, hg. von Helmut Glück, Stuttgart 2010, S. 531.

[3] Frank Liedtke: Das Gesagte und das Nicht-Gesagte: Zur Definition von Implikaturen. In: Implikaturen. Grammatische und pragmatische Analysen, hg. von Frank Liedtke, Tübingen 1995, S.19.




QUELLENVERZEICHNIS

  • Bergmann, Rolf / Pauly, Peter / Stricker, Stefanie: Einführung in die deutsche Sprachwissenschaft, Heidelberg 2010, S. 268f.

  • Busch, Albert / Stenschke, Oliver: Germanistische Linguistik, Tübingen 2014, S. 216f., 224-228.

  • Implikatur. In: Lexikon der Sprachwissenschaft, hg. von Hadumod Bußmann, Stuttgart 2008, S. 280f.

  • Liedtke, Frank: Das Gesagte und das Nicht-Gesagte: Zur Definition von Implikaturen. In: Implikaturen. Grammatische und pragmatische Analysen, hg. von Frank Liedtke, Tübingen 1995, S. 19-46.

  • Linke, Angelika / Nussbaumer, Markus: Konzepte des Impliziten: Präsuppositionen und Implikaturen. In: Text- und Gesprächslinguistik: ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, 1. Halbband: Textlinguistik, hg. von Klaus Brinker, Gerd Antos u.a., Berlin/New York 2000, S. 435–448.

  • Meibauer, Jörg: Implikatur. In: Pragmatik. Eine Einführung, hg. von Jörg Meibauer, Tübingen 1999, S. 24-40.

  • Meibauer, Jörg: Präsupposition. In: Pragmatik. Eine Einführung, hg. von Jörg Meibauer, Tübingen 1999, S. 44-56.

  • Präsupposition. In: Lexikon der Sprachwissenschaft, hg. von Hadumod Bußmann, Stuttgart 2008, S. 545f.

  • Präsuppositionstest. In: Lexikon der Sprachwissenschaft, hg. von Hadumod Bußmann, Stuttgart 2008, S. 547.

  • Rehbock, Helmut: Implikatur. In: Metzler Lexikon Sprache, hg. von Helmut Glück, Stuttgart 2010, S. 281.

  • Schwinn, Horst: Präsupposition. In: Metzler Lexikon Sprache, hg. von Helmut Glück, Stuttgart 2010, S. 530.

  • Schwinn, Horst: Präsuppositionstest. In: Metzler Lexikon Sprache, hg. von Helmut Glück, Stuttgart 2010, S. 531.






 
 
 

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